4 Hannah Arendt am 4. Philip Kovce (Stefan Pangritz)Philip Kovce, geboren 1986, Ökonom und Philosoph, forscht an den Universitäten Witten/Herdecke und Freiburg im Breisgau sowie am Basler Philosophicum. Er gab jüngst im Suhrkamp Verlag den Sammelband "Bedingungsloses Grundeinkommen. Der Prozess gegen Adolf Eichmann 1961 in Jerusalem wird gemeinhin als Initialmoment der öffentlichen Wahrnehmung des Holocaust verstanden. Hannah Arendt, Eichmann in Jerusalem. München: Piper 1985, S. 202 f. Im Folgenden abgekürzt als „Briefe AJ“. Auschwitz, 29. Die geistlose Mittelmäßigkeit Eichmanns passt nicht zum abgrundtief Bösen seiner Taten. So wie Arendts Schriften wurden auch die frühen Aktivitäten jüdischer Organisationen und Persönlichkeiten nach dem Zweiten Weltkrieg im Kontext der überbordenden Dynamik des Kalten Krieges sowie der Westanbindung der Bundesrepublik und des damit verbundenen Abebbens der Entnazifizierungs-Anstrengungen durch die westlichen Alliierten überdeckt. Hierfür stehe… April bis zum 15. In Auschwitz hat sich der Boden der Tatsachen in einen Abgrund verwandelt, in den jeder hineingezogen werden wird, der nachträglich versucht, sich auf ihn zu stellen.“ Sie schrieb „im Bewusstsein des jüdischen Schicksals in unserem Jahrhundert“. Für den Philosophen Philip Kovce sind Arendts Überlegungen noch immer hoch relevant. Gesellschaft, Psychologie. Arendts eindeutige Wahrnehmung der Singularität und Gegenrationalität der kollektiven Tötung der europäischen Juden, wie sie in den 1940er Jahren von ihr herausgestellt wurde, ist hier nur noch als Spur erkennbar, muss aber bei einer Neubewertung ihres Textes hinzugedacht werden. In seiner Kritik enthalten war der Vorwurf, Hannah Arendt lehne den Zionismus und die Idee einer Einheit des jüdischen Volkes in Israel ab. Dezember 1960, Hannah Arendt / Karl Jaspers, Briefwechsel 1926-1969, hrsg. Hanna Arendt betrachtet in ihren Vorlesungen über das Böse (1965) die Person Adolf Eichmanns, der während der Zeit des Nationalsozialismus an der Organisation und Koordination des Holocaust beteiligt war, auf ihre Erscheinung während des Gerichtsverfahrens in Jerusalem im Jahr 1961. Oder mit anderen Worten, dass ich unabhängig bin. Essays, Frankfurt a. M. 2000, S. 35-49; dies., Konzentrationsläger, in: Die Wandlung 3 (1948), H. 4, S. 309-330; dies., Social Techniques and the Study of Concentration Camps, in: Jewish Social Studies 12 (1950), H. 1, S. 49-64, dt. Weniger bekannt ist, dass auch Hannah Arendt federführend in der JCR tätig war. Hannah Arendt war eine jüdische deutsch-amerikanische politische Theoretikerin und Publizistin. Ich habe zufällig einen gefunden auf youtube. Hannah Arendt selbst war der Ansicht gewesen, dass es für sie von existenzieller Bedeutung sei, dem Prozessgeschehen beizuwohnen, und hatte ihre Reise nach Jerusalem als Beobachterin für den New Yorker daraufhin angeregt. Arendts heute zur ikonischen Wendung avancierte Rede von der „Banalität des Bösen“ wurde mit Hinweis auf die Radikalität und Dimension der Ereignisse harsch zurück gewiesen. Zu sehen sind insgesamt 200 Stunden Filmmaterial aus dem Prozess. Und es ist dieses Phänomen, das ich bezeichne als „Banalität des Bösen.“ Professor Miller Frau Arendt, Sie klammern den wichtigsten Teil der Kontroverse aus. Aufl. via Flickr/CC BY 2.0. ), Holocaust historiography in context. Drastisch kritisierte er Arendts konkrete Form der Darstellung des Holocaust im Allgemeinen und die historische Bewertung der Handlungsoptionen des jüdischen Führungspersonals, vor allem der Judenräte, in Ghettos und Lagern, im Speziellen. Selbst dicke Bücher werden nun plötzlich durchgelesen. Beide Ereignisse überlagerten frühere Initiativen, Auseinandersetzungen und Denkfiguren und führten zu der bis heute gültigen Einschätzung, dass erst der Prozess dem Holocaust Wahrnehmung und Geltung verschafft und dass Arendts Überlegungen zu Nationalsozialismus und Holocaust hier ihren ultimativen Ausdruck gefunden hätten. Als ich 2015 angefangen habe, wusste ich tatsächlich nicht viel über Hannah Arendt. Die Frau, die nur knapp den Nazis entfloh und zur bedeutendsten Philosophin des 20. Ich war nicht da.“[13] Beide, sich nahezu widersprechenden Argumente deuten mit Vehemenz darauf hin, dass Scholem eine umfassende, der jüdischen Opfererfahrung gerecht werdende Repräsentation des Geschehenen zu diesem Zeitpunkt für unmöglich hielt – und dies zum einen aufgrund der Beschaffenheit des Ereignisses, das sich im Kern dem Verstehen versperrt, zum anderen aber auch aus Gründen, die mit seinen persönlichen Erfahrungen, mit der Unmöglichkeit eines distanzierten Blicks und mit dem eigenen Trauma zusammenhingen. Es scheint gerade diese stellenweise undurchsichtige Verbindung von Beschreibung des Prozessablaufs, Deutungsmustern und Argumenten zu sein, die den vielen Kritikern Arendts anstößig erschien und sie zu einer harschen Beurteilung ihres Textes veranlasste. Ebenso führte die Staatsgründung in Israel mitnichten zu einer öffentlichen Diskussion über die nationalsozialistischen Verbrechen. Hannah Arendt, Eichmann und die Juden, München 1964; Nach dem Eichmann Prozess. [8] Gershom Scholem an Hannah Arendt, 23. Erstmalig konfrontierte sich eine weltweite Öffentlichkeit mit den jüdischen Opfern und Zeugen des Holocaust und ihren traumatischen Erfahrungen. So konnte es den Anschein haben, dass die von größter medialer Aufmerksamkeit begleitete Prozessführung gegen Adolf Eichmann tatsächlich die erste breite Auseinandersetzung mit den Verbrechen war. Ihr Begriff der "Banalität des Bösen… Die Seitenzahlen der Zitate folgen der 8. [18] Arendt, Eichmann in Jerusalem, S. 371. [11] Hannah Arendt an Gershom Scholem, 20. Sie stellte somit einen Meilenstein für die kontroverse Auseinandersetzung um die Wahrnehmung des Holocaust als negativem Zentralereignis des Zweiten Weltkrieges dar und verlieh dieser Wahrnehmung spezifische „Sprache und Semantik“ (Idith Zertal). Major Trends“ mit den Worten geschickt, „dass die Lektüre Ihrem jüdischen Herzen, ohne unbescheiden zu werden, einen großen Schwung geben wird“. Das Banale seines Auftritts vor Gericht maskierte ihn als Unschuldslamm und glich einem Pokerface, das ihm jedoch kein milderes Urteil einbrachte.Trotz Arendts Irrtum in Bezug auf Eichmann ist ihre Erkenntnis von der Banalität als einer Erscheinungsform des Bösen ebenso treffend wie aktuell. Hierfür stehen die Initiativen des World Jewish Congress, des Institute of Jewish Affairs, des American Jewish Joint Distribution Committee und der zahlreichen in Europa tätigen Jüdischen Historischen Kommissionen paradigmatisch. Ihre als empörend empfundene Beschreibung Eichmanns als „erschreckend normal“, mit der sie ihm alle dämonischen und sadistischen Züge nahm und ihn als gedankenlosen und beflissen seiner Arbeit nachgehenden Täter präsentierte, passte nicht in die Vorstellungswelten einer Zeit, in der man sich im Allgemeinen darauf geeinigt hatte, die nationalsozialistische Führungselite als teuflisch und radikal zu verdammen. Elisabeth Gallas, Hannah Arendt und der Eichmann-Prozess. Denn auch wenn diese Selbstbefreiung mit der Erfahrung der Vernichtung obsolet geworden war, suchte Arendt trotzdem ein jüdisches Selbstverständnis der Paria-Identität insofern zu wahren, als sie ihr Augenmerk auf die verbleibenden Möglichkeiten politischen Handelns und kritischen Urteilens legte. [12] Vgl. Treffend schon allein deshalb, weil die Geschichte des deutschen Faschismus in der Tat nicht nur die Geschichte großer radikal-böser Männer, sondern auch die Geschichte unzähliger banal-böser Kollaborateure ist, deren mal lautstarker, mal stillschweigender Gehorsam die Nazi-Diktatur entscheidend zu etablierten half. Hannah Arendt (1906–1975) war eine der schärfsten politischen Denkerinnen ihrer Epoche. Natürlich garantiert diese Selbstbehauptung des Individuums mitnichten, dass alles gut wird, aber sie widersteht wenigstens den Versuchungen der Selbstentmündigung, deren diabolische Ausgeburt die Banalität des Bösen darstellt. Hannah Arendt erkannte das Banale im Bösen, den „Hanswurst“ in führenden Nazis . Auch diese Kritik von ihm war nicht neu. Der Kern der Debatte entzündete sich aber vor allem an Arendts schon in früheren Schriften vertretener, universalistischer Perspektive auf die Verbrechen des Nationalsozialismus. Die Entrechtung und Verfolgung von Juden in der Zeit des Nationalsozialismus sowie ihre eigene kurzzeitige Inhaftierung durch die Gestapo bewogen sie 1933 zur Emigration aus Deutschland. „In diesen letzen Minuten war es, als zöge Eichmann selbst das Fazit der langen Lektion in Sachen menschlicher Verruchtheit, der wir beigewohnt hatten - das Fazit von der furchtbaren Banalität des Bösen, vor der das Wort versagt und an der das Denken scheitert.“ ―Hannah Arendt Jenseits des eigentlichen Geschehens im israelischen Gerichtssaal ist es allem voran Hannah Arendts berühmt gewordener Bericht zum Prozess gewesen, der zunächst in fünfteiliger Serie in der Zeitschrift The New Yorker und danach in Buchform unter dem Titel „Eichmann in Jerusalem. ), After the Holocaust. Dieser Titel birgt im Kern das große Versprechen offener Gesellschaften, das ohne pluralistisch aufgeklärten ethischen Individualismus, ohne freie Willensbildung freier Bürger nicht einzulösen ist. In letzterem Teil möchte ich mich auf die Beamten, die im Zuge der sogenannten „Arisierung“ jüdischen Eigentums an der Judenverfolgung beteiligt waren, fokussieren. 1944 in New York gegründet, entwickelte sie sich schnell zur führenden jüdischen Interessenvertretung im Feld der kulturellen Rückerstattungs- und Entschädigungsfragen. Der Briefwechsel, hrsg. A Report on the Banality of Evil, New York: Viking/London: Faber and Faber 1963; dt. Gesche-hen und Vergegenwärtigung“ hervorgegangen, die im Herbst 2000 vom Hannah-Arendt-Institut in Dresden veranstaltet wurde. Dabei äußert sich die Banalität des Bösen wahlweise als hypermoralischer Aktionismus oder amoralisches Desinteresse. [6] Für die zeitgenössischen Kritiken selbst vgl. Insbesondere seine Reise ins Nachkriegsdeutschland 1946, die eben der Suche nach geraubten Buch- und Bibliotheksbeständen gewidmet war, erschütterte ihn durch die unmittelbare Konfrontation mit den Dimensionen von Zerstörung und Leere nachhaltig und ließ ihn Abstand davon nehmen, sich in unmittelbarer Auseinandersetzung mit den Ereignissen des Holocaust zu beschäftigen. Hiermit referierte er auf eine in Israel drastisch geführte Auseinandersetzung um die Rolle von Überlebenden und Augenzeugen in der historiographischen Annäherung an den Holocaust. Die Fragen nach Konstitution des Volkes, nach seiner territorialen Verfassung und seiner Bindung an Traditionen waren für Scholem zentrale Momente der eigenen Selbstverortung, die gerade durch die Erfahrung der Judenvernichtung in der Diaspora noch bestärkt worden waren. Als Hannah Arendt 1961 in Jerusalem den Gerichtssaal betritt, um für den renommierten The New Yorker über den Prozess gegen den Nazi-Verbrecher Adolf Eichmann zu berichten, erwartet sie, auf ein Monster zu treffen. Ein Kopfhörer für die Übersetzung des Hebräischen war fast immer präsent. 1964) erschien und die Auseinandersetzung mit den im Prozess verhandelten Ereignissen noch bestärkte und verlängerte. / Eichmann oder Von der Banalität des Bösen. Scholem stellte sich mit seiner Aussage als Teil des von ihm territorial verorteten und sakral imprägnierten jüdischen Kollektivs Hannah Arendt gegenüber. Arendt und Scholem bieten das beste Beispiel für diese sich über Jahre aneinander reibenden und auch einander beflügelnden Positionsbestimmungen – der Eichmann-Bericht war nicht ihr Ausgangspunkt, er hatte sie nur virulenter denn je zum Vorschein gebracht. Insbesondere der Nationalsozialismus bildete die Negativfolie, vor der Hannah Arendt ihre Theorie von Politik und politischem Handeln entwickelte. An ihren früheren Lehrer Karl Jaspers, mit dem sie ab Herbst 1945 wieder in regem Kontakt stand und der zunächst Zweifel an der Idee ihrer Teilnahme geäußert hatte, schrieb sie erklärend: „[…] ich würde es mir nie verziehen haben, nicht zu fahren und mir dies Unheil in seiner ganzen unheimlichen Nichtigkeit in der Realität, ohne die Zwischenschaltung des gedruckten Wortes, zu besehen. Gershom Scholem war bekanntermaßen eine tragende Figur im Sturm der Entrüstung gegen Hannah Arendt. Übers. : 1955), drangen diese frühen Versuche einer verstehenden Auseinandersetzung mit dem Holocaust überhaupt in die öffentliche Wahrnehmung vor. … ganz unaufgeregt Held sein weiterlesen. Ein Bericht von der Banalität des Bösen, München: Piper 1964, 4. Fahrig, nervös, folgte der Mann dem Prozessverlauf, korrekt antwortend, sich der Situation, dem Lauf der Dinge offensichtlich fügend. Und damit meine ich […], dass ich keiner Organisation angehöre und immer nur im eigenen Namen spreche.“[11] In diesem Duktus ist auch ihre Antwort auf Scholems Kritik bezüglich ihres vermeintlich nicht-jüdischen Kollektivbewusstseins zu lesen: Hannah Arendt dachte vom Individuum aus, das sich zwar eindeutig auf Zugehörigkeit zum Kollektiv beziehen könne, solle und müsse, aber letztendlich autonom über Handlungen und Vorstellungen entscheide. [2] Nur vereinzelt, so zum Beispiel in Form von Arendts opus magnum „Elemente und Ursprünge totaler Herrschaft“ von 1951 (dt. Weder geistliche noch weltliche Autoritäten, kein Papst und keine Kanzlerin, keine Glaubenskongregation oder Ethikkommission sind an meiner statt moralisch handlungsfähig. Sie gilt als unbequeme Denkerin: Nach der NS-Zeit analysierte Hannah Arendt Wirkungsweisen totalitärer Herrschaft. Die massive Gleichgültigkeit, mit der die Nazi-Verbrechen begangen wurden, hat Hannah Arendt mit der „Banalität des Bösen“ auf den Punkt gebracht. Auf zwei Ebenen haben diese beiden miteinander verknüpften Ereignisse – zum einen der Prozess selbst, zum anderen Arendts Buch, das ebenfalls den Charakter eines „Ereignisses“ annahm – zu einer Schieflage in der öffentlichen Wahrnehmung geführt.